Herzlich Willkommen

Auf der Suche nach dem semantischen Nullpunkt des Internet, tief im Innersten des World Wide Web bin ich plötzlich auf die alles entscheidende Phrase gestossen, den imaginären Mittelpunkt zumindest des deutschen Internets. Wie so oft im Leben, lag das Ziel direkt vor Augen, ich hatte es nur ignoriert: Der vernichtende Satz heisst schlicht und einfach: „Herzlich Willkommen“.

Eingegeben bei Google findet man nicht weniger als 55,8 Mio Einträge, die diesen zentralen Eingangssatz erwähnen. (Zum Vergleich: das schlichte Wort „willkommen“ verzeichnet nur 2,5 Mio Einträge) Da man annehmen kann, dass jedes „Herzlich Willkommen“ pro Website nur einmal vorkommt, kann man mit der Google Suche zugleich die durchschnittliche Anzahl bundesdeutscher und deutschsprachiger Websites bestimmen, zumindest soweit sie einem bestimmten, sagen wir mal euphemistisch – durchschnittlichem – geistigen Milieu zugeordnet sind. Wenn der schon etwas angestaubte Satz des Medientheoretikers Marshal Mc Luhan stimmt, dass jedes Medium seine eigene Message ist, was zugleich heisst, dass jedes Medium sich sozusagen selbst kommuniziert, sich selbstverdaut und im Leeren dreht und alle reale Bedeutung in ein mediales Vakuum hineingesaugt wird, dann ist „Herzlich willkommen“ das geeignete und entscheidende Mantra, um die Sinnlosigkeit aller digitalen Kommunikation zu definieren und zu beschwören.

Der entscheidende Trick, um in die völlige geistige Leere einzutauchen, scheint das Wort „Herzlich“ zu sein. Es ist die eigentliche Negation des „Willkommen“ und bewirkt eine künstliche emotionale Intensivierung, die den Sinn instantan implodieren lässt, und jedes halbwegs ernstgemeinte „Willkommen“ zurück in den Äther der Digitalität schleudert. Aber bevor der Sinn dieser Floskel gänzlich verdampft, hinterlässt er noch eine Aura abgelegter Bedeutungen, die jeweils für den Bruchteil einer Sekunde aufschimmern.

Ist „Herzlich willkommen“ etwa eine geheime Meditationsformel oder doch nur eine Waffe, die auf den arglosen Internetbesucher gerichtet wird, um ihn emotional zu entwaffnen? Soll er sich emotional überrumpelt treuherzig in sein Schicksal finden und ohne Murren die in der Regel billig zusammengestrickten und schlecht navigierbaren deutschen Webseiten durchklicken, benebelt von der sprichwörtlich deutschen herzlichen Gemütlichkeit als drückendem Trostpflaster? Das wäre eine einfache Erklärung.

Zwar nützt es, wenn man den tieferen Sinn von „Herzlich willkommen“ vollständig ausmessen und den emotionalen Trick neutralisieren will, diese Worte probeweise einmal mit „Leck mich am Arsch“, „Halt’s Maul“, „Verpiss Dich“, „Friss oder stirb“ oder ähnlichen urdeutschen Redensarten und Begrüssungen zu ersetzen. Dies ist aber nur ein Hilfsmittel, denn die eigentliche Bedeutung der Nicht-Bedeutung tritt damit nicht klar hervor. Wohl aber die soziale Indifferenz, die emotionale Färbung geläufiger digitaler Kommunikation, die irgendwo zwischen „scheissegal“ und „kauf mich“ zu liegen scheint.

Obwohl sich bei Google implizit fast 56 Mio Websites um eine Listung unter den Top 10 „Herzlich willkommen“ Sites streiten und man sich kaum vorstellen kann, wie jemand seine Site per Keyword-Positioning, Keyword-Density und anderen Tricks der SEO Branche so optimieren kann, dass sie unter Millionen anderer Sites hervorsticht – einige haben dies tatsächlich geschafft. Auf Platz 1 landet momentan www.zeitung.de, dicht gefolgt vom Auswärtigen Amt (www.auswaertiges-amt.de). Auch die Städte Lünen und Reutlingen lassen sich nicht lumpen (Platz 5 und 6). Dass auch der deutsche Städtetag noch auf Seite 1 vertreten ist, deutet auf eine zentrale Rolle des „Herzlich willkommen“ in deutscher Auslands- und Regionalpolitik. Vielleicht ist dasselbe „Herzlich Willkommen“ gemeint, mit dem bei uns Asylbewerber und politische Flüchtlinge empfangen werden? Denkbar…

Der Sieger, www.zeitung.de ist jedenfalls ein reines Linkportal mit einer ellenlangen Liste überregionaler und regionaler Zeitungen, sowie deutschsprachiger aber auch internationaler Zeitungen im Ausland. Merkwürdigerweise kommt „Herzlich willkommen“ bei Zeitung.de gar nicht im Fliesstext vor, lediglich im Dokumenttitel, was möglicherweise zeigt, dass Google hier nur eine Zufallsanzeige macht, denn eine derartige Anzahl von Suchtreffern lässt sich vielleicht gar nicht mehr in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Oder dass Google die eigentlichen Inhalte des Web komplett egal sind, was einige vermuten. Oder aber die oben angesprochene Implosion des Sinns zeigt sich darin, dass das Suchwort selbst bereits verschwunden ist. So könnte man ewig weiterphilosophieren. Die wichtigsteTextpassage auf der Homepage von www.zeitung.de ist diese: „Wir distanzieren uns hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten auf unserer Homepage und machen uns diese Inhalte nicht zu eigen.“ Offensichtlich bewertet es Google besonders stark im Zusammenhang mit „Herzlich willkommen“, wenn jede Verbindlichkeit gegenüber den Inhalten abgeleugnet wird. Dies bestätigt die These von der sozialen Indifferenz, die sich im „Herzlich willkommen“ ausdrückt. Google hat sich also nicht geirrt – Zeitung.de ist der gerechte Sieger.

Merke: Jeder Internettexter, der, vielleicht aus Naivität, aus Faulheit oder aus völliger Hohlköpfigkeit heraus, vielleicht von seinem Kunden gezwungen, vielleicht aber auch als semantischer Schwerverbrecher mit klarem Bewusstsein seiner grauenhaften Tat, die alles entscheidende Zeile „Herzlich willkommen“ textet, in HTML-Code giesst und damit in die Millionen und Milliarden Datenkanäle der Internetgalaxie, sollte sich über die vollständige Auslöschung des Sinns im Klaren sein, die dominoartig auch alle nachgeschalteten Seiten der jeweiligen Website betrifft – und da Webseiten in der Regel Links enthalten, und die verlinkten Seiten wieder Links kann schon eine einzige Website das gesamte Internet auslöschen und zur Bedeutungslosigkeit verdammen. So einfach geht das. Herzlich willkommen.

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