Das Ende der Guttenberg-Galaxis

“I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched STRG-C-beams glitter in the dark near the Tannhauser Gate. All those moments will be lost in time like tears in rain. [Pause] Time to die.”

aus: Blade Runner

Noch hat „Dr.“ zu Guttenberg sich nicht wirklich geoutet – als letzter heroischer Vertreter der Copy-und-Pasta-Generation, der konservativen Alternative zur abgewirtschafteten Toskanafraktion von Rot-Grün und ihrem Individualismusanspruch.

In sieben durchwachten und durcharbeiteten Jahren der Promotion, sozusagen einem Doppelleben jenseits seiner ansonsten ganz dem deutschen Volk gewidmeten Karriere, hat er eine Erfahrung gemacht, die sich nur mit den schmerzvollen Erlebnissen vergleichen lässt, die Heilige in der Wüste durchleben, bevor sie zur Erleuchtung gelangen. Aber er hat uns an dieser Erfahrung nicht teilhaben lassen. Und das wird ihm jetzt übel genommen.

Dabei täte ein Outing bitter not und würde tausenden Akademikern, die in gleicher Manier zu ihren Würden gekommen sind, Erleichterung verschaffen. Denn „Dr.“ zu Guttenberg personifiziert nicht nur das Ende eines Zeitalters, das in der Wissenschaft bisher als „Gutenberggalaxis“ bekannt war und dessen Ende schon Mitte des letzten Jahrhunderts eingeläutet wurde. Der kanadische Medientheoretiker Marshal McLuhan hatte damit die Ablösung des Zeitalters der Schrift durch das Zeitalter der elektronischen Medien, vor allem des Fernsehens verkündet. Inzwischen wurde dieses Zeitalter flimmernder Kathodenröhren, in dem uns Bilder von Vietnam, Nixon, Rudi Carell und Tante Clementine anstelle von Goethe, Schiller, Böll und Grass berieselten, abgelöst durch mindestens zwei Epochen Internet. Wir sind jetzt bereits am Ende von Web 2.0 angelangt – die Samwer-Brüder haben grade ihre Facebook-Anteile verkauft, d.h. wir befinden uns eigentlich schon mitten im Web 3.0, ohne es zu wissen. Offensichtlich hat sich grade schon wieder eine neue Galaxis verabschiedet – vielleicht die „Guttenberg-Galaxis“? Ist da grade ein schwarzer Riese zu einem weissen Zwerg verdampft?

Zünden wir uns zunächst die Meerschaumpfeife an und blicken wir zurück in die Vergangenheit. Was hat unser „Dr.“ Guttenberg mit seinem berühmten Namensvetter, der im 15. Jhdt. die Druckmaschine erfand, gemeinsam? Auf den ersten Blick ähnelt sein Promotionsbemühen ja viel eher den Vor-Gutenbergschen Schreibstuben mittelalterlicher Klostermönche, die in mühsamer, von Kerzenlicht beleuchteter Kleinarbeit die Schriften der Kirchenväter abmalten. Gutenberg hatte ja grade durch die Erfindung einer zuverlässigen industriellen Mechanik des Kopierens das fehlerträchtige und elitären Kreisen vorbehaltene manuelle Abschreiben von staatstragenden (Kirche = Staat) Texten wie der Bibel überflüssig gemacht.

Zu Guttenberg hat natürlich für seine Kopistentätigkeit ebenfalls staatstragender, in diesem Fall juristischer, Fachliteratur keine Gänsefeder benutzt, sondern sicher ein modernes Notebook. Er hat im Internet recherchiert und sich über viele Jahre umfassendes Fachwissen zu seinem hochinteressanten und brisanten Dissertationsthema „Verfassung und Verfassungsvertrag“ angeeignet. Wenn man so viele Jahre hinein ins Notebook tippt, oft am Rande der physischen Erschöpfung, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man aus Versehen die STRG-C und STRG-V Tastenkombination hintereinander erwischt, rein statistisch ganz beträchtlich. Aber das ist nicht der Kern des Problems. Aber er hat etwas mit Statistik zu tun. Die Produktion von Dissertations-Texten ist Buchstabenpermutation, eine höhere Art der Buchstabensuppe, die man Löffel für Löffel in den Computer hineinlöffelt. Und im Laufe der Jahrtausende sind schon viele Buchstabensuppen gekocht worden, auch ohne Computer, grade in den Geisteswissenschaften und noch stärker in formal restringierten Diskursen wie der Juristerei, die eine regelrechte Buchstabenmühle ist. Man kann vielleicht zu Recht behaupten, dass schon alle Suppen einmal gekocht wurden. So wie uns im Internetzeitalter grade die Internetadressen ausgegangen sind, so ist uns jetzt auch die Buchstabensuppe ausgegangen. Jeder Satz, der zu einem juristischen Thema geschrieben wurde, ist rein statistisch schon einmal geschrieben worden, jeder Kommentar zu einem dieser Sätze wurde schon einmal geschrieben und das auch schon in jeder beliebigen Reihenfolge. Wenn man dies berücksichtigen würde, müssten die Fußnoten und die Fußnoten zu den Fußnoten den eigentlichen Text zunichtemachen und das will doch keiner. Ist das etwa die Quintessenz der Guttenberg-Galaxis? Das das Ende der Schrift nicht allein durch die neuen Medien eingeläutet wurde, sondern das die Schrift sich selbst zu Ende gebracht hat, indem alles gesagt wurde? Auch das wurde schon oft gesagt. Bisher haben der Mensch und vor allem seine Medien, ob sie nun „Bunte“ oder „Spiegel“ heissen, das nur geschäftssinnig stets vergessen. Nur Google vergisst nichts und damit erkennt man jetzt, dass aufstrebende junge Menschen schon immer die immer gleichen Sätze zu Papier gebracht und sich diese von akademischen Gremien in geldbringende Titel verwandeln ließen. Ja, die Universitäten und vor allem die juristischen Fakultäten erwarten ja eigentlich gar nicht, dass jemand kommt und eine noch nicht gefundene Permutation von Buchstaben vorträgt. Denn wie in der biologischen Evolution ist jede Mutation mit Vorsicht zu geniessen. Sie birgt Chancen aber vor allem auch Risiken. Das Risiko wäre vielleicht, dass jemand, der über Verfassungsrecht schreibt, erkennt, dass Recht und Verfassungswirklichkeit zwei Paar Schuhe sind. Und das ist bei einer staatstragenden Persönlichkeit wie Herrn zu Guttenberg eher unwahrscheinlich und sogar unerwünscht. Insofern hat er eine kluge Wahl getroffen, als er sich sowohl einer unendlichen Rekursion von Fussnoten verweigerte als auch weise entschied, dass Verfassung Verfassung bleiben soll.

Zu Guttenberg hat sieben Jahre lang in der Wüste und Einöde der juristischen Diskurse gekämpft. Er hat den bösen Dämon der semantischen und syntaktischen Permutation bekämpft und hat gesiegt. Die Verfassung und ihre Interpretation sind geblieben, wie sie waren – das ist echter Konservativismus.

Seinen Doktortitel (DR = Der Retter) trägt er also zurecht und er hat zugleich erkannt, dass auch neue Medien die Grenzen der Schrift niemals überschreiten können. Er hat die Guttenberg-Galaxis bis ans Ende durchschritten und Dinge gesehen, die kein Sterblicher je sah. Ein Heiligenschein wäre das mindeste, was dafür fällig wäre.

[amazon_carousel widget_type=“ASINList“ width=“600″ height=“200″ title=““ market_place=“DE“ shuffle_products=“False“ show_border=“False“ asin=“3257234139,0802060412,3770528719,B0025HG7D0,3520351013″ /]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert