Freie Parkwirtschaft

Die Bundesrepublik Deutschland gilt als Paradebeispiel der freien und sozialen Marktwirtschaft. Die Kräfte von Angebot und Nachfrage sollen sich frei entfalten aber zugleich auch immer ein klein wenig reguliert werden, so dass stets ein paar Brotkrumen für die Armen übrig bleiben.

Wäre ja auch schade, wenn man all den Überschuss einfach so wegschmeißen würde. Denn die Güterproduktion in diesem Land ist nach nur wenigen Nachkriegsjahren des Mangels im Westen ja eine Wirtschaft des stetigen Überflusses – ein dicker pampiger Wohlstandsbrei, der nach allen Seiten überquillt ins Ausland. Autos, Panzer, Kernkraftwerke, Waffen und andere Errungenschaften der deutschen Ingenieurskunst sind als technische Leckereien in der ganzen Welt gefragt. Auch die armen Brüder und Schwestern im Osten dürfen nun seit über 20 Jahren mitnaschen, ja – inzwischen kann man das Überqueren der ehemaligen Zonengrenze daran erkennen, dass im Osten alles blinkt und glänzt und, sobald man in den Westen gelangt, der Putz blättert und die Bahnhöfe ehemals schmucker, schaffensfroher Kleinstädte in ihrer grauen Trostlosigkeit zum Selbstmord einladen.

Mittlerweile hat die Marktwirtschaft viel vom realen Sozialismus gelernt. Wenn jener mit nie eingehaltenen Planvorgaben stets an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei gewirtschaftet und sich damit ruiniert hat, lernt man in der Marktwirtschaft mit dem Mangel auch Profit zu erwirtschaften. Denn umso mehr Nachfrage auf umso weniger Angebot trifft, desto höher der zu erzielende Preis. So denkt inzwischen nicht mehr nur der clevere Monopolkapitalist, sondern, wie wir gleich sehen werden, inzwischen auch das ganz gewöhnliche Ordnungsamt. Nachdem unser Staat über die Energie- und Wasserversorgung, Banken, Telekommunikation und Wohnungswirtschaft inzwischen so gut wie alle Bestände an Volkseigentum an den Meistbietenden verhökert hat (nur die deutsche Bahn ist mitten auf der Durststrecke der Finanzkrise verreckt), bleibt ja nicht mehr viel übrig – da heißt es nun mit dem Mangel zu wirtschaften und was ist in deutschen Städten seltener als ein Parkplatz. Das nicht mehr vorhandene Staatseigentum lässt sich wunderbar in klingende Münze verwandeln – der Staat besitzt hier gleichsam ein Monopol des Mangels, für den Bürger ist das etwas wie eine Zwickmühle beim gleichnamigen Spiel, immer auf und zu klappert sie und der Euro rollt unentwegt.

Vor über einem Jahr bin ich umgezogen im Prenzlauer Berg. Vom Kollwitz-Kiez, dem Paradebeispiel der Gentrifizierung, durch die innerhalb von nicht mal 15 Jahren ein sozial bunt durchmischtes Viertel in eine sterile Öko-Alternativ-Konsumwüste neureicher Zugezogener verwandelt wurde, in den gegenüberliegenden Helmholtzkiez, den – vielleicht aufgrund seiner Hippie- und Hausbesetzer-Vergangenheit („LSD-Viertel“) – vielleicht noch ein 1-2 Jahre vom gleichen Schicksal trennen.

Nun gibt es im gesamten Prenzlauer Berg ein Parkplatzproblem. Denn aus irgendeinem Grund glauben viele Menschen in Deutschland und der ganzen Welt immer noch, dass dieses Viertel etwas ganz Besonderes sei. Und so kommen Sie in ihren Autos angefahren, um in einem von dutzenden geklonten Touristenrestaurants zu essen, das öde-museale Ambiente der Kulturbrauerei zu durchschreiten, den von unerträglichen besserverdienenden Gutmenschen bevölkerten Kollwitzmarkt zu besuchen, Pornstash-Träger der Generation Casting in der Kastanienallee zu bewundern und was weiß ich noch alles. Auf diese Weise gesellen sich die biederen Familienkarossen aus dem Westen und die tiefergelegten 3er-BMWs aus dem Barnim zu den schwarzlackierten Designer-SUVs und smarten Zweitwagen der ortsansässigen Klientel und es ist einfach kein „Park“-Platz mehr da.

Nach dem Prinzip der Besitzstandswahrung machte die Stadt der in ihren schnieken Eigentumswohnungen verbunkerten zugezogenen Erbengeneration nun ein verlockendes Angebot: Durch Parkraumbewirtschaftung sollte der Touristenflut Einhalt geboten werden und zugleich mehr Parkraum für Anwohner geschaffen werden. In Berlin Mitte hätte man das angeblich schon erfolgreich exerziert. Ich muss sagen, dass ich gewisse Sympathien für diesen Ansatz hatte. Vielleicht ließe sich ja so die allabendliche Parkplatzsuche von gefühlten 90 Minuten auf nur 60 Minuten verkürzen. So dachten offenbar auch andere Anwohner, die Befürworter waren in der Mehrzahl – und schwupps, schon standen auf einmal überall im Kiez nagelneue blaue Parkgeldautomaten und die Parkraumwirtschaft nahm ihren Betrieb auf. Etwas bitter stießen die 25 € auf, die für die Anwohnerparkplakette zu zahlen war. Hoffnungsfroh und überarbeitet wie immer fuhr ich nun abends nach Hause, um auf meinem Anwohnerparkplatz zu parken. Aber merkwürdigerweise hatte sich nichts verändert, die Parkplatzknappheit war geblieben – Runde um Runde durchfuhr ich das Viertel ohne Erfolg. Auffällig waren die Heerscharen von Mitarbeitern des Ordnungsamtes, die nun die Strassen durchstreiften. Nie hätte ich gedacht, dass das Ordnungsamt soviele emsige Beschäftigte hat. Ich hoffte darauf, dass diese fleissigen Helfer all die bösen Schwarzparker und Touristen verscheuchen würden, die mein Anwohner-Parkrecht sabotierten. Aber vergeblich – wie schon früher musste ich die Suche irgendwann aufgeben und mich wohl oder übel auf einen nicht ganz legalen Parkplatz stellen. Und wie groß war mein Erschrecken, wenn ich am nächsten Morgen öfter und immer öfter ein weißes Knöllchen hinter dem Scheibenwischer vorfand. Bisher hatte der ortsansässige Kontaktbereichsbeamte doch immer ein Auge zugedrückt oder war noch gar nicht wach, wenn ich in aller Herrgottsfrühe wieder wegfuhr, schließlich war die Not groß und die Sünde doch eher klein. Aber die neuen Ordnungshüter kennen diese Gnade und Gemütlichkeit nicht – Stunde um Stunde grasen sie die Parkflächen ab, picken eifrig in ihre Knöllchen-Computer und verteilen ihre Zettelchen. Ja, die Situation wurde innerhalb von wenigen Wochen schlimmer und schlimmer, und als ich schließlich im Verlauf einer Nacht sogar 2 Knöllchen an der Scheibe fand, da viel es mir wie Schuppen von den Augen – die heuschreckenartige Invasion von Politessen und Politeuren galt gar nicht den Touristen, die ohnedies für einen kurzen Besuch im Viertel den einen oder anderen Euro bereitwillig in den Parkautomaten werfen. Nein, es war das Ende der Marktwirtschaft und der Beginn der Parkwirtschaft, das ich miterleben durfte und ich und alle anderen Anwohner waren selbst das Ziel, die Parkherde, die nun täglich gemolken wurde. Wie in der Reise nach Jerusalem fehlt nun immer ein Stuhl. Durch Dauerbaustellen, großzügig ausgebaute Kreuzungsbereiche und ein kompliziertes Geflecht aus Einbahnstraßen und Sackgassen wurde die ursprüngliche Parkfläche im Helmholtz-Kiez sorgfältig reduziert und das profitable Geschäftsmodell der Parkwirtschaft etabliert.

Hier die Milchmädchenrechnung dazu: Durch Wegfall von ca. 1.500 Parkplätzen werden täglich ebensoviele, wenn nicht mehr Strafzettel fällig, das sind bei durchschnittlich 20 € pro Strafzettel schon mal 30.000 € täglich. Dazu kommen dann die Parkgebühren der Touristen, sagen wir mal 5.000 pro Tag – bei ca. 2 € Ticketgebühr für eine schnelle Pizza sind das 10.000 € täglich, also 1.2 Mio € im Monat, also 14.4 Mio € im Jahr. Na das ist doch was – und es ist ja nur ein Kiez im Prenzlauer Berg – zusammen mit dem Kollwitzkiez, dem Winskiez und den übrigen 11 Berliner Stadtbezirken und ihren Dutzenden Parkzonen kommt da eine Menge Holz zusammen. Und alle paar Jahre muss natürlich die Plakette erneuert werden, das sind noch mal ein paar Milliönchen. Ich frage mich, ob die Stadt noch andere Einnahmequellen braucht, um über die Runden zu kommen.

Ja und wenn man in Berlin auch weiterhin dafür sorgt, dass S- und U-Bahn regelmäßig ausfallen, so dass der fahrbare Untersatz ein notwendiges Übel bleibt, dann ist das Ganze ja sogar ein dauerhafter Zustand, sozusagen eine Planwirtschaft, aber ohne den Planzahlen-Schmu der Realsozialisten und sogar ganz ohne Eigentum an Produktionsmitteln, pflegeleicht und zukunftssicher. Denn wo kein Parkplatz ist, muss man ihn schließlich auch nicht instandhalten.

Die freie Marktwirtschaft ist vorbei – ich glaube an die Parkwirtschaft.

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